Vor 40 Jahren hat der amerikanische Maler Joseph Marioni erstmals einige seiner Bilder in Deutschland gezeigt. Eine der ersten, die großes Interesse an abstrakter Malerei und Radical Painting hierzulande zeigten, waren der 2019 verstorbene Freiburger Unternehmer und Kunstmäzen Paul Ege und seine Frau Helga. Aus dieser Leidenschaft für die Farbmalerei hervorgegangen ist die Paul Ege Art Collection (PEAC), mit einem eigenen Museum im Industriegebiet Nord. „Vom Geschmack eines Apfels“ heißt die aktuelle Ausstellung , die dem inzwischen 80-jährigen Joseph Marioni gewidmet ist, der ein wahrhafter Meister des Monochromen ist. Schicht für Schicht aufgetragen, thematisieren die Farbflächen selbst das Gemälde und lassen es von innen heraus leuchten.
Joseph Marioni hat eine sehr ruhige, überlegte Art zu sprechen, während er persönlich durch die Ausstellung führt. Seine Bilder muss er eigentlich nicht erläutern, denn es gibt keine Motive. Dass es aber doch so viel dazu zu sagen gibt, liegt an der unglaublichen Wirkung, die diese monochromen Leinwände haben.
Grundsätzlich malt er mit Acryl, wobei er die Farben speziell für sich nach seinen Wünschen herstellen lässt. Herkömmliche Acrylfarben, so sagt er, beinhalten Härter und Füllstoffe, die für besondere Haltbarkeit sorgen. Doch gerade diese Füllstoffe sieht er als „visuelle Verunreinigung“. Er dagegen sucht die Reinheit der Farbe. Nichts soll bei ihm gräulich oder gelblich wirken, nichts darf das Licht abtöten. Schicht für Schicht trägt Joseph Marioni in seinem Atelier in New York, wo er seit 50 Jahren lebt und arbeitet, mit einer langstieligen Rolle verschiedene Farben auf. 20 bis 30 Minuten lang ist die Farbe noch flüssig, überstreichbar. Dann kommen die nächsten Farbschichten, so lange bis ein regelrechtes Lichtvolumen aufgebaut ist.
Die erste Farbschicht dringt tief in den Leinenstoff, den er in unterschiedlicher Struktur und Grundfarbe nutzt, ein. Die zweite Schicht ist die „Körperfarbe“, sie wird besonders dick aufgetragen. Die letzte Schicht ist fast transparent, wie ein dünnes Kleidungsstück. Manchmal braucht es viele Farbschichten,niemals jedoch, so betont er, mehr als sieben Schichten, sonst stirbt das Licht darin.
Durch dieses Schichtprinzip, so erklärt es der Künstler und blickt dabei gelassen und wissend zugleich, dringt das Licht ins Bild hinein und kommt strahlend wieder heraus. Es ist sein großes, lebenslanges Thema: Wie platziert man Licht im Gemälde, wie sprüht es in den Raum, wie sammelt es sich im Bild? Zunächst muss sich der Künstler für eine Farbe entscheiden, um die es ihm letztlich geht, dann wie groß das Gemälde werden soll und schließlich welche Schichten wohin führen sollen. Joseph Marioni steht sportlich da in lässigen Jeans und Turnschuhen, und in jedem seiner Worte, die er mit sonorer Stimme spricht, liegt große Gewissheit, die einer tiefen Beschäftigung mit der Kunstgeschichte entspringt, ebenso wie der vielen Jahrzehnte, die er sich nun schon mit dem Thema Licht und Farbe auseinandergesetzt hat.
Durchschnittlich 20 Gemälde fertigt Joseph Marioni pro Jahr, bis heute. Er war 27 Jahre alt, als er 1970 erstmals begann, sich bewusst als Künstler zu definieren. Seitdem dokumentiert er seine Werke und wohin er sie überall in die Welt verkauft. Ursprünglich kommt er aus der Portraitmalerei, doch heute, so sagt er, „portraitiere ich Farben“. Spricht man ihn vergleichend auf den Maler Mark Rothko an, ein Wegbereiter der Farbfeldmalerei, so verweist Joseph Marioni darauf, dass Rothko die Aufmerksamkeit des Betrachters auf einen Punkt bündelt, man soll dabei nicht wegschauen, jedoch würde er damit das Licht im Gemälde verschließen. Er selbst hingegen wolle mit seinen Gemälden das Licht erweitern, aufbrechen und mit dem Betrachter in das Licht hinausgehen.
Keines seiner Gemälde ist gerahmt, da es für Marioni keine Bilder im eigentlichen Sinne, sind, keine Abbilder einer äußeren Welt, – und nur solche bräuchten auch Rahmen, erklärt er – sondern Bilder die sich selbst präsentieren. Bei ihm, so betont er stolz, haben die Farben keine Grenzen. So lassen sich bei seinen Werken am Rand die verschiedenen Farbschichten erkennen und bieten somit überraschende Einblicke über das Farbspektrum bis hin zu lila, das beispielsweise einem grünen Gemälde zugrunde liegt. Grün, das räumt Joseph Marioni ein, sei eine schwierige Farbe für ihn, die müsse er sich noch „erobern“. Bei Grün stelle sich sofort das Bild einer Landschaft ein, mit all ihren kleinen Dramas. Ihm gehe es aber mehr um das gefühlte Grün, er wolle diese Farbe verstehen. Wohl deshalb auch haftet seinen grünen Gemälden etwas Erdfarbenes, Lehmartiges an, als liege darüber noch der Hauch einer anderen, nur zu erahnenden Schicht darauf. Für sein jüngstes grünes Werk brauchte er insgesamt eineinhalb Jahre, um es fertigzustellen.
Manchmal dauert es Jahre, bis er sich erneut an eine Farbe wagt. Das gelbe Gemälde „Helios 1“ ist 1970 entstanden, „Helios 2“ im Jahr 2000. Und dann wird Joseph Marioni plötzlich wieder sehr energisch. Feuerwehren, so erklärt er resolut, sollten eigentlich nicht rot, sondern gelb sein. Gelb sei eine schreiende Farbe, die „Platz da!“ einfordere, während Rot aufs Feuer hindeute. Im nächsten Augenblick wendet sich Joseph Marioni aber schon den Archetypen an Farben zu: Grün, Gelb, Blau, Rot. „Wir verbinden diese Farben mit Natur, Sonne, Himmel und Feuer. Doch alle diese Farben haben an sich eigentlich keine Bedeutung, erst wenn wir sie ihnen geben, füllen sie sich für uns.“ Der Archetyp Rot, so erläutert er, aktiviert beispielsweise unser Nervensystem. Es war die erste Farbe, die in allen Kulturen einen Namen hatte, Rot stand für Feuer und Hitze.
Mit 30, so reflektiert er, habe er Präsenz gesucht, heute, 50 Jahre später, habe er sich verändert, stünde anders in der Welt. Er wolle das Ego aus seinen Arbeiten herausnehmen, sagt er. Und gleichzeitig geht eine starke selbstbewusste Präsenz von diesem Menschen aus beim Gegenüberstehen im PEAC-Museum. Jedes seiner Worte, jedes Detail seiner Arbeiten ist durchdacht, jeder Arbeitsschritt wohl überlegt, bis hin zur Dicke des Holzgestells, auf den das Leinen aufgespannt wird, je nach Farbe (dünnes Leinen für Blau, dickes für Gelb) oder der Höhe, in welche die Werke gehängt werden (Gelb höher, Grün tiefer). Die blauen Bilder sind bei ihm immer klein, gerade weil der Himmel so unbegrenzt ist, erläutert er. Denn ihm gehe es um die Qualität des Blaus und nicht ums Blau per se. Joseph Marioni ist ein Beauftragter der Farben. Alles, was er tut, macht er um die Farbe zu präsentieren. Plötzlich nimmt er eines seiner kleineren Bilder von der Wand, dreht es vertikal um und hängt es kopfüber wieder auf. Gespannt, fast lauernd, blickt er zur Betrachterin hinüber, wartet auf eine Reaktion. Und tatsächlich, das Ergebnis ist verblüffend. Plötzlich führt die Farbe das Licht hinaus, weg vom Betrachter, statt zu einem hin. Es geht um den Übergang, erklärt er, sichtlich zufrieden über den erzielten Effekt, „die Gemälde sollen sich für dich öffnen“.
Und dann wird er streng: Er male keine Bilder (pictures), er male Gemälde (paintings)! Zudem, so stellt er unmissverständlich klar, seien all dies keine abstrakten Gemälde! In den vergangenen 50 Jahren habe ihn immer wieder die Frage beschäftigt, ob man ein Gemälde für sich selbst macht oder für den Betrachter. Inzwischen habe er verstanden, dass man nicht nur selbst der Betrachter sein, sondern auch den externen Betrachter verstehen muss, herausfinden muss was die Dinge oder Farben für uns bedeuten können.
Nach dem intensiven Rundgang im PEAC-Museum treffen wir auf den Galeristen von Joseph Marioni in Deutschland, Rolf Hengesbachaus Wuppertal. Marioni schwärmtvon ihm. Der Galerist suche stetsden Dialog mit den Künstlern, besuche sie in ihren Ateliers und sei ein diskussionsfreudiger Gesprächspartner, mit dem er auch immer wieder gerne Ausstellungen und Museen besuche. Das sei für ihn ganz besonders wichtig, denn „ohne Dialog gibt es keine Fortschritte, nur im Dialog kann man auch kreativ sein“. Marioni schätzt außerdem das profunde Wissen und Kunstverständnis von Rolf Hengesbach, das sei etwas ganz anderes als in den USA, wo die meisten Galeristen „gescheiterte Juristen“ seien. Und dann formuliert der Künstler grinsend seine ganz persönliche Definition von Freundschaft: „Ich bin extrem tolerant hinsichtlich seiner Beleidigungen“. Der so Gepriesene bleibt bei all dem Lob sehr cool und gelassen. Er kennt Joseph Marioni seit rund 20 Jahren und kannte den Stiftungsgründer Paul Ege persönlich gut. Diese Ausstellung bekräftigt einmal mehr die herausragende Bedeutung, die die Paul Ege Art Collection
und das Freiburger PEAC Museum haben. Die Leidenschaft für abstrakte, monochrome Malerei und das bewusste Konzentrieren auf diese Kunst, brachte eine der umfangreichsten und bedeutendsten Sammlungen im Bereich der Farbmalerei zustande. Herzstück der Sammlung ist das Radical Painting, zu deren Vertreter Joseph Marioni gehört. 1997 wurde die Sammlung erstmals öffentlich zugänglich gemacht, 2004 entstand dann das Museum im Industriegebiet Nord, – damals noch unter der Bezeichnung Kunstraum Alexander Bürkle – 2008 wurde die Sammlung schließlich in eine Stiftung überführt. Seit 2019 erinnert die Paul Ege Art Collection (abgekürzt PEAC) nun mit ihrem Namen direkt an den Unternehmer und Kunstmäzen.
„Vom Geschmack eines Apfels“, Werke von Joseph Marioni, noch bis 17. September 2023
PEAC Museum,
Robert-Bunsen-Str. 5, 79108 Freiburg
Öffnungszeiten:
Dienstag – Freitag, 11 – 17 Uhr,
Sonn- und Feiertage, 11 – 17 Uhr; Eintritt frei
Führungen: 3.7. und 7.8., jeweils 19 Uhr, sowie 17.9., 11 Uhr
www.peac.digital