Bei der Verleihung des Juliane Bartel Medienpreises beim NDR in Hannover hat Jasmin Arbabian-Vogel eine beeindruckende Rede gehalten, in der sie aufzeigte, wie wichtig eine solidarische Haltung des Westens mit den Protestierenden im Iran ist. Die Unternehmerin stammt selbst aus dem Iran, lebt seit 35 Jahren in Deutschland und ist geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH sowie Präsidentin des Verbands Deutscher Unternehmerinnen.
Ihr Vater ist Iraner, Ihre Mutter Deutsche, Sie sind im Iran aufgewachsen und erst 1986 mit 18 Jahren nach Deutschland gekommen. War das ein warmes Willkommen?
Jasmin Arbabian-Vogel: Jein. Ich war ja vorher auch schon in den Sommerferien in Deutschland, bei meiner deutschen Oma und meinen Onkels. Von daher war mir dieses Land nicht gänzlich fremd. Aber es ist ein fulminanter Unterschied, ob man zu Besuch für zwei bis drei Wochen ist oder ob man kommt, um wirklich zu bleiben. Ich habe mich in der Anfangszeit sehr fremd gefühlt, vor allem der „Culture Clash“ war nicht ganz ohne.
Ihr iranisches Abitur wurde nicht anerkannt, Sie mussten also den Schulabschluss in Deutschland wiederholen?
Jasmin Arbabian-Vogel: Ganz genau. Ich habe das anfangs als großes Manko empfunden, denn das Abitur im Iran ist auch knallhart. Der Gedanke, jetzt nochmal in die Schule zu müssen, war erst einmal nicht angenehm. Im Nachhinein war es aber die richtige Entscheidung, weil dadurch dieser „Culture Clash“ abgefedert wurde.Jasmin Arbabian-Vogel: Ganz genau. Ich habe das anfangs als großes Manko empfunden, denn das Abitur im Iran ist auch knallhart. Der Gedanke, jetzt nochmal in die Schule zu müssen, war erst einmal nicht angenehm. Im Nachhinein war es aber die richtige Entscheidung, weil dadurch dieser „Culture Clash“ abgefedert wurde.
Sie leben jetzt seit über 35 Jahren in Hannover. Ist das inzwischen Ihre Heimat?
Jasmin Arbabian-Vogel: Ja, es ist meine zweite Heimat geworden. Aber es war ein schwieriger Prozess und hat extrem lange gedauert. Von dem Moment, als ich ankam, bis zu dem Moment, als ich zum ersten Mal sagen konnte, dies ist das Land, zu dem ich mich zugehörig fühle und von dem ich sagen kann, das ist meine Heimat geworden – das war im Jahr 2005.
„Die Diskussion um das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz halte ich für viel zu eng.
Uns fehlen nicht nur Fachkräfte. Und das ist die vertane Chance.“
Wie stehen Sie mit diesem Erfahungshintergrund zur derzeitigen politischen Diskussion über die Fristen zur Einbürgerung?
Jasmin Arbabian-Vogel: Sehr, sehr zwiegespalten. Wir sind mittlerweile Weltmeister im Diskutieren und Kreieren von Gesetzesinitiativen und Vorhaben, die letztendlich in der Realität scheitern. Es genügt nicht, dass wir ein Gesetz erlassen und damit soll alles einfacher werden. Nur weil wir dieses Bestreben haben, dass Menschen zum Beispiel einfacher einwandern können, heißt das nicht, dass dies auch faktisch in der Realität passiert. Wir haben ja im Moment zwei Diskussionen. Zum einen die Staatsbürgerschaftsdiskussion, und da finde es richtig, dass Menschen, ob die nun fünf oder sieben Jahre hier leben, die sich als BügerInnen verstehen, auch eingebürgert werden. Da tun wir gut daran, das auch zuzulassen. Das ist eher Kosmetik, wenn man da sagt, das sollen lieber sieben oder acht Jahre sein. Die andere Diskussion, die wir momentan führen, ist die Frage nach der Einwanderung. Die Grundidee ist honorig. Die Leute, die wir brauchen, sollten schneller einwandern können. Aber sind wir ein attraktives Land, das andere willkommen heißt? Wenn wir das nämlich nicht sind, dann haben wir schlechte Karten. Und die Diskussion um das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz halte ich für viel zu eng. Uns fehlen nicht nur Fachkräfte. Und das ist die vertane Chance. Denn mit der vorliegenden Gesetzesinitiative, kann man nur mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem akademischen Abschluss einwandern, und dieser muss in etwa gleichwertig sein. Wenn Sie aber Kellnerin sind, beispielsweise aus Bosnien, und möchten unbedingt in Deutschland arbeiten, wird das nicht funktionieren. Denn in Bosnien ist Kellnerin kein dualer Ausbildungsberuf. Diese Ausbildung, wie wir sie haben, gibt es nirgendwo auf der Welt. Bei vielen Berufen werden die Menschen also diese Gleichwertigkeit niemals herleiten können, weil ihnen die Dokumente dazu fehlen. Aber wir brauchen eben Kellnerinnen, Menschen in der Reinigung, uns fehlen an allen Ecken und Kanten Menschen. Und da sagen wir, wir hätten aber nur gerne die Fachkräfte, und dann bitteschön auch nur die, welche gleichwertige Abschlüsse mitbringen. Im Endeffekt ist das eher ein Abschreckungssignal. So kriegen wir die Leute nicht.
Der deutsche Staat sollte also grundsätzlich auch ausländische Abschlüsse oder andere Bildungswege anerkennen?
Jasmin Arbabian-Vogel: Ich würde es mal anders formulieren: Unsere Angst ist ja immer, dass jemand in unser Sozialsystem einwandern will. Aber der Fokus müsste genau umgekehrt liegen. Die jungen Leute, die herkommen, wollen in einen Arbeitsmarkt einwandern, mit einer offenen, demokratischen und liberalen Gesellschaft. Das sollten wir mal als ein positives Faktum wahrnehmen, als eine Riesenchance. Und wenn dann zufälligerweise jemand sagt, ich bin Kellner, kann aber leider nichts vorweisen, weil da wo ich herkomme, ist das kein Ausbildungsberuf. Dann sollten wir sagen, okay, wenn du einen Arbeitsvertrag hast, wenn dich der Goldene Hirsch um die Ecke als Kellner nimmt, dann bist du willkommen. Alles andere ist doch Unsinn.
„Im Iran ist selbstständig zu sein etwas total normales, anders als hier.
Das steht dem Sicherheitsbedürfnis des durchschnittlichen deutschen Bundesbürgers diametral entgegen.“
Sie selbst haben in Deutschland Politik und Sozialpsychologie studiert und bereits mit 26 Ihr eigenes Unternehmen gegründet, einen interkulturellen Pflegedienst. Eine Senkrechtstarterin mit einer genialen Idee?
Jasmin Arbabian-Vogel: Das war 1995/96 und auch noch eine ganz andere Zeit. Da wurde die soziale Pflegeversicherung gerade installiert, die gab es vorher ja nicht. Und damals wurde gerade groß diskutiert, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht. Heute diskutieren wir das nicht mehr, wir sind ein Einwanderungsland. Und das ist gut so. Damals stieß ich mit der Idee von der interkulturellen Pflege in eine richtige Nische rein, die eigentlich keine Nische ist. Wir haben ja eine multikulturelle Gesellschaft. Das war dann auch ziemlich schnell von Erfolg gekrönt. Es war die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt.
Heute leiten Sie dieses Unternehmen mit 180 Mitarbeitenden…
Jasmin Arbabian-Vogel: Es sind vier Unternehmen: zwei Pflegedienste und ein Haushaltsunternehmen sowie ein Yoga- und Pilates-Studio, mit insgesamt 230 Mitarbeitenden.
Hätten Sie einen vergleichbaren beruflichen Weg auch im Iran gehen können?
Jasmin Arbabian-Vogel: Im Iran ist selbstständig zu sein etwas total normales, anders als hier. Das steht dem Sicherheitsbedürfnis des durchschnittlichen deutschen Bundesbürgers diametral entgegen. Dieses ist hier sehr verfestigt. Im Iran ist die Gesellschaft – vor allem die Frauen – zwar deutlich eingeschränkter, aber sie suchen sich ihre Nischen. Und auch wenn die Gleichstellung keinesfalls vergleichbar ist, gehen die Frauen im Iran dennoch ihren Weg.
„Wir haben momentan einen Kanzler, der zwar sehr besonnen ist,
aber es gibt Momente, da ist Besonnenheit fehl am Platz.“
Sie kannten eine 19-jährige Iranerin, die sich nach einem Gefängsnisaufenthalt im Iran, wo sie gefoltert und vergewaltigt wurde, das Leben nahm. Was man sonst nur medial aus dem Iran mitbekommt, rückt für Sie dadurch ganz nah.
Jasmin Arbabian-Vogel: Ich habe kurz nach Beginn der Proteste über viele verschiedene Umwege meine beste Freundin wiedergefunden, die ich seit über 20 Jahren aus den Augen verloren hatte. Sie lebt mittlerweile in der Türkei. Dort habe ich sie spontan besucht. Während dieses kurzen Besuchs platzte die Nachricht vom Tod dieses Mädchens herein. Sie war die Freundin der Tochter meiner Freundin. Diese Erfahrung, dass irgendjemand aus dem nahen Kreis plötzlich tot ist, machen im Moment alle Iraner. Die Familien und Clans im Iran sind groß und weit verzweigt, man findet dort momentan keine Familie, die nicht ein Opfer zu beklagen hat, sei es weil Angehörige im Gefängnis sitzen, gefoltert oder hingerichtet wurden oder sich suizidiert haben. Alle im Iran sind von den Repressionen betroffen, selbst der Klerus. Und dadurch, dass die Welt durch das Internet so nah zusammen gerückt und miteinander verbunden ist, können wir auch nicht mehr sagen, dass es uns nicht tangiert. Wir sehen, es sind junge Menschen erschossen worden, die Spuren in den sozialen Medien hinterlassen haben. Wir sehen, wie sie gelebt haben, wir können uns ein Bild von ihnen machen. Und das bringt sie uns ein großes Stück näher.
Könnten westliche Regierungen noch mehr tun? Müsste die deutsche Regierung noch eine klarere Haltung zeigen?
Jasmin Arbabian-Vogel: Dieses Haltung-Zeigen hat einen sehr großen Einfluss. Ich bin auch sehr erstaunt, wie sehr die Mullahs darauf reagieren. Sie haben große Angst davor, dass die Welt das, was sie tun, als falsch bewertet. Denn ihre Anhängerschaft schmilzt im Iran. Durch das Internet sehen die Anhänger des Regimes, wie die Welt da draußen über sie denkt. Das geht an Betonköpfen vorbei, aber nicht alle sind Betonköpfe. Dadurch erodiert die Zustimmung für das Regime, und das Regime weiß das. Deswegen haben die so eine wahnsinnige Angst vor dieser Standortbestimmung, sie wollen nicht alleine da stehen. Wir haben momentan einen Kanzler, der zwar sehr besonnen ist, aber es gibt Momente, da ist Besonnenheit fehl am Platz. Und wenn man weiß, welche Macht die Worte haben, dann ist das schon beinahe ein Gebot der Stunde, die Worte so scharf wie möglich zu nutzen. Diplomatie ist nicht mehr angezeigt. Es geschehen dermaßen Menschenrechtsverbrechen, dass man da einfach nicht mehr diplomatisch sein kann. Diese Standortbestimmung ist also ganz wichtig. Und zweitens, man sollte Dinge so klassifizieren, wie sie auch sind: Die Hisbollah und die Basidsch sind eine Terrororganisation und gehören als solche eingestuft. Das kann von Deutschland ausgehen, wir sind stark in der Staatengemeinschaft. Und wenn die UN diese beiden Gruppierungen als Terrororganisationen einstuft, dann hat das einen wahnsinnigen Effekt. Drittens, notwendige Sanktionen – im Moment gibt es nur gegen elf Personen Sanktionen, das ist viel zu wenig, es müssten eigentlich die gesamten Basidsch-Führungskräfte sanktioniert und deren Konten eingefroren werden. Und als vierten Punkt: Ich glaube der Weg, den Frau Baerbock geht, mit der klaren Formulierung einer feministischen Außenpolitik, ist der richtige. Auch wenn die alten, weißen Männer darüber lächeln. Die Männer dieser Welt, die ja die Kriege anzetteln, und letztendlich diejenigen sind, die Gewalt anwenden, haben davor Angst. Deshalb ist es vollkommen richtig, das so zu benennen und daraus auch Handlungsrichtlinien und Handlungsweisen abzuleiten. Denn bei dem bloßen Bekenntnis kann es nicht bleiben. Wenn man so ein Postulat formuliert und sagt, unsere Außenpolitik bemisst sich an einem feministischen Codex, dann ergeben sich daraus viele weitere Schritte. Und das ist notwendig.
Wird da ein gewaltiges Potenzial nicht genutzt, wenn immer noch zu wenig Frauen aktiv in der Politik und Wirtschaft als Entscheidungsträgerinnen eingebunden sind?
Jasmin Arbabian-Vogel: Definitiv. Aber in dem Moment, in dem die Außenministerin sagt, die Leitlinie unserer Außenpolitik ist eine feministische Perspektive, ergibt sich vieles. Dann können die Strukturen geändert werden. Das fängt bei der Behörde an, da muss sich Frau Baerbock fragen, wie sieht es bei uns im Amt mit der Frauenquote aus, wie in den zuarbeitenden Referaten. Denken Sie beispielsweise an Afghanistan. Als klar war, dass Afghanistan fallen wird, stand die Position der Frauen überhaupt nicht zur Debatte. Da gab es keine feministische Perspektive. Bei der Frage, wen holen wir aus dem Land raus, ging es um die Ortskräfte, die den Deutschen und den Amerikanern zugearbeitet haben. Aber die NGOs, die sich dort für die Frauenrechte stark gemacht haben, fielen raus. Sie waren und sind aber mindestens genauso gefährdet. Wenn man die Perspektive, die Leitlinie nicht anders formuliert, ändert man nichts.
„Ich glaube, es ist allen Akteuren in der Wirtschaft bekannt,
dass diverse Teams bessere Ergebnisse liefern.“
Ist in unserem Denken die wirtschaftliche Ausrichtung nicht übermächtig? Nehmen wir als Beispiel Katar – die WM ist verpönt, der Gaseinkauf wird bejubelt.
Jasmin Arbabian-Vogel: Ich habe dazu zwei Gedanken. Erstens glaube ich, dass die Wirtschaft inzwischen auch festgestellt hat, dass manche Entwicklungen sogar gut sind, denken Sie an die Diversitäts-Diskussion. Ich glaube, es ist allen Akteuren in der Wirtschaft bekannt, dass diverse Teams bessere Ergebnisse liefern. Das ist ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur nice to have und schön anzuhören, wenn man den Quotenschwarzen und die Quotenfrau hat. Nein, es hat auch einen Impact auf die Ergebnisse. Das ist die gute Nachricht, wir müssen es den Leuten nicht mehr schmackhaft machen, sondern die Botschaft ist angekommen. Zum anderen glaube ich aber, dass wir auf der politischen Ebene die Karten durchaus anders spielen könnten. In den Vergaberichtlinien des Landes Niedersachsen steht beispielsweise drin, dass darauf geachtet wird, dass die Firmen, die Aufträge bekommen sollen, nach Tarif bezahlen. Das kann ein Kriterium sein, wir können aber in Zukunft viel stärker darauf achten, dass die Firmen, die Aufträge erhalten, vor allem nachhaltig agieren. Oder es kann ein Ausschlusskriterium sein für eine Vergabe, wenn das Vorstandsgremium eines Unternehmens ausschließlich männlich besetzt ist. Wir haben Instrumente in der Hand, wir nutzen sie auch jetzt schon. Die Frage ist aber, ob diese Instrumente den richtigen Kriterien folgen. Da haben wir Handlungsspielräume.
Haben wir als Normalbürger und -bürgerinnen eine Möglichkeit aus der Zuschauerrolle herauszutreten, gegenüber autoritären Regimes?
Jasmin Arbabian-Vogel: Ja, es gibt eine ganze Menge. Das, was die Proteste im Iran massiv trägt, ist die Aufmerksamkeit aus dem Ausland und die große Solidaritätswelle. Den psychologischen Effekt dabei kann und darf man wirklich nicht unterschätzen. Sowohl Herr Biden wie auch Frau Harris sagen immer wieder: Wir sehen euch, wir hören euch. Diese Sätze sind im Iran zu einem Mantra geworden. Zum anderen sind wir Dank der technischen Möglichkeiten nicht mehr machtlos. Jeder kann so ein bisschen Elon Musk spielen, nicht in dem man Satelliten ins All schickt, das kann nur ein Multimilliardär, aber wir alle können kleine Satelliten sein. In dem wir nämlich zum Beispiel Tools wie Snowflake flächendeckend runterladen (eine Browsererweiterung, die ermöglicht, trotz Netzsperren auf das Internet zuzugreifen. Der eigene Rechner dient dabei als Sprungbrett für ein Netzwerk, dass zur Anonymisierung von Internetverbindungen genutzt wird; Anm.d.Red.) Damit können wir den Menschen in all den Ländern, in denen das Internet eingeschränkt wurde, Zugang ins Netz verschaffen. So wissen die Menschen dort, was passiert und können sich organisieren sowie Informationen weitergeben.
„Wir haben in Deutschland leider auf der Vereinbarkeitsebene so einige Probleme,
wir haben immer noch sehr traditionelle Rollenbilder.“
Sie sind selbst äußerst aktiv: Geschäftsführerin von vier Unternehmen, Präsidentin des Verbandes der deutschen Unternehmerinnen und etliche weitere Ehrenämter. Wie schaffen Sie das alles?
Jasmin Arbabian-Vogel: (Lacht) Das macht ja natürlich auch Spaß, das sind schöne Ehrenämter. Und nein, mein Tag hat nicht mehr als 24 Stunden. Aber ich habe Kolleginnen und Kollegen, die mir den Rücken sehr frei halten, sonst würde ich das auch nicht machen können.
Eine Frage also des klugen Delegierens und Einbeziehens anderer?
Jasmin Arbabian-Vogel: Natürlich, absolut. Das war ein Lernprozess. Ich konnte viele Jahre überhaupt nicht delegieren und war auch überhaupt nicht in Netzwerken präsent. Ich war quasi in meinem Unternehmen unter meiner Käseglocke und in meinem Hamsterrad. Erst 2008 brach das auf, als ich in Hannover ausgezeichnet wurde als Unternehmerin des Jahres. Am Abend dieser Preisverleihung bekam ich so viele Einladungen von verschiedenen Netzwerken in die Hand gedrückt, da habe ich erst gemerkt, boah, da draußen gibt es ja noch mehr von meiner Sorte. Und irgendwann, wenn man dann merkt, die Welt besteht nicht nur aus den eigenen vier Wänden, fängt man auch an zu delegieren und die Dinge anders zu organisieren. Das ist ganz gut gelungen. Ich habe immer geschaut, wenn ich Positionen zu besetzen hatte, ob es Mitarbeitende aus dem eigenen „Stall“ gibt, die ich in die Karriere reinschubsen kann.
Sie sagten vorhin, dass es in Deutschland eine Zurückhaltung gibt, sich selbstständig zu machen. Würde Selbstständigkeit den Frauen aber nicht vielleicht bessere Chancen bieten, Familie und Beruf zu vereinbaren?
Jasmin Arbabian-Vogel: Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass eine der Motivationen, sich selbstständig zu machen, darin besteht, dass man Zeitsouveränität haben möchte. Das Bestreben nach einer besseren, flexibleren Zeiteinteilung. Gerade bei jungen Frauen, die ein Unternehmen gründen möchten, fällt diese Phase häufig in die Zeit, in der auch die Kinderfrage eine Rolle spielt. Und wir haben in Deutschland leider auf der Vereinbarkeitsebene so einige Probleme, wir haben immer noch sehr traditionelle Rollenbilder. Wenn man Männer fragt, wie sehr sie sich einbringen möchten, heißt es, ja super, ich möchte unbedingt meine Kinder aufwachsen sehen, aber in der Realität klafft eine Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Und das ist die Situation, mit der Frauen konfrontiert sind. Sie wissen, die Männer wollen ihre Karriere machen, wollen ihr Ding machen und die Kinder hat sie am Hacken. Und wenn eine Frau dann noch auf die Idee kommt, sich selbstständig zu machen, und schaut, wie sieht es denn aus mit Mutterschutz, Elterngeld und so weiter, dann wird sie ziemlich schnell feststellen, das sind alles Gesetze, die das Schutzbedürfnis von Arbeitnehmerinnen ins Auge fassen, nicht von Selbstständigen. Und dann fangen sie an nachzudenken, ob das mit der Selbstständigkeit wirklich so eine gute Idee ist. Viele spielen das eine gegen das andere aus: Entweder sie gründen nicht und kriegen Kinder, oder sie gründen und kriegen keine Kinder. Beides ist nicht wünschenswert. Oder, wenn sie entscheiden, zu gründen und auch Kinder zu bekommen, dann reduzieren sie und gehen keine Vollzeitgründung an, sondern machen das so vom Küchentisch aus, in klein, als Nebenjob in Teilzeit. Das kann man ändern in Deutschland, da muss man nur den politischen Willen dazu haben.
Sie selbst haben auch Kinder, wie haben Sie das gemacht?
Jasmin Arbabian-Vogel: Es gab zwei wesentliche Faktoren. Nummer eins: Oma AG. Ohne Oma, ohne das private Netzwerk, wäre es nicht gegangen, das ist wirklich extrem wichtig. Das andere: Ich hatte durch meine Selbstständigkeit eine andere Zeitsouveränität, aber, was noch viel wichtiger ist, ich hatte Handlungsoptionen. Ich nahm die Kinder immer mit ins Büro. Und wo kann man das sonst, seine Kinder stillen oder sie dabei haben, wenn sie noch ganz klein sind? Deshalb kontere ich immer, wenn mir Frauen sagen, sich selbstständig zu machen sei ein Risiko. Nein, nicht nur selbstständig, auch angestellt zu sein ist ein Risiko, denn man hat deutlich weniger Handlungsoptionen. Es ist wichtig darauf immer wieder hinzuweisen, um junge Leute zu ermutigen, sich selbstständig zu machen oder in eine Unternehmens-Nachfolge einzusteigen.