Marian Gold (Foto by Helen Sobiralski)

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Alphaville, die Kult-Band der 80er Jahre, geht auf große Geburtstags-Tournee, „40th Anniversary – The Symphonic Tour“. Etliche Hallen sind bereits ausgebucht, weitere Zusatztermine vereinbart. Am 27. Mai kommt Alphaville auch nach Freiburg ins Konzerthaus. Im Gespräch erzählt Sänger und Bandmitbegründer Marian Gold, wie es zu den großen Hits „Forever Young“ und „Big in Japan“ kam und was das universelle Koordinatensystem damit zu tun hat.

Ich kenne Alphaville noch aus der späten Schulzeit…

Marian Gold: … Sie klingen noch gar nicht so alt…

…Sie können ja auch noch so singen wie früher…Damals dachte ich, dass sie und Ihre Band Engländer wären oder zumindest Holländer.

Marian Gold: Das ging auch den Engländern so. Bei unserer ersten „Top of the Pops“-Show in England, wo wir so rein gerutscht waren, waren alle baff, dass wir beim Sprechen einen deutschen Akzent hatten. Das war eine große Überraschung, German Invasion, zweiter Teil (lacht).

Sie haben den Slang britischer Bands kopiert, welches waren damals ihre Vorbilder?

Marian Gold: OMD zum Beispiel, Orchestral Manoeuvres in the Dark, war eine ganz starke Inspiration. Denen fühlten wir uns irgendwie verwandt, weil sie auch kaum spielen konnten, mit ihrem Synthesizer herum hantierten und auch aus der Amateurecke kamen, genau wie wir.

Sie stammen aus einer gutbürgerlichen Familie bei Münster und kamen später in Berlin mit der Hausbesetzerszene in Kontakt. War das ihr „Erweckungserlebnis“?

Marian Gold: Die Leute in der Hausbesetzerszene kamen überwiegend aus gutbürgerlichen Häusern (lacht). Das war eine Reaktion auf die Eltern, eine Emanzipation. Ich kann das aber für mich gar nicht in Anspruch nehmen. Ich habe zwar in besetzten Häusern gewohnt, aber ich war nicht Teil der Szene. Ich war überhaupt nicht politisiert. Das war bei mir aus der Not geboren, ich lebte auf der Straße und von der Hand in den Mund. Ich hatte mich von allem losgesagt, als ich damals nach West-Berlin ging.

Zum Entsetzen ihrer Eltern wahrscheinlich…

Marian Gold: Meine Eltern wussten nicht wo ich war. Mein Vater hatte die schlimmsten Befürchtungen. Er bekam1984 einen Anruf von einem Geschäftsfreund, der sagte zu ihm, mach mal den Fernseher an, dein Sohn ist da zu sehen. Mein Vater schaute auf die Uhr und antwortete, wieso, es sind doch noch gar keine Nachrichten (lacht).

Sie sind damals zu dritt auf der Bühne gestanden, mit zwei Synthesizern und Gesang. Keiner von Ihnen war ein grandioser Musiker und trotzdem haben Sie mit „Forever Young“ einen Hit gelandet. Was ist das Geheimnis eines Hits?

Marian Gold: Das ist mehr so eine Art Mysterium. Man betritt einen ganz bestimmten Ort, eine bestimmte Koordinate im Universum. Dort laufen ganz viele Linien zusammen, man kann da selbst gar nicht so viel dafür. Man muss natürlich schon was drauf haben, aber man muss nicht unbedingt ein Genie oder Virtuose sein. Es gehört auch unendlich viel Glück dazu. Wie viele wesentlich begabtere Künstler haben diesen Erfolg nie gehabt. Es gilt also nicht nur Begabung und Talent, sondern es spielen auch viele Dinge eine Rolle, die gar nicht in unserer Hand liegen.

Sie meinen also, dass bestimmte Koordinaten aufeinandertreffen, wenn wir im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle sind, und dann passt es?

Marian Gold: Genau, so ist es.

Ist das ein Glaube an Übernatürliches?

Marian Gold: Das hat wenig mit Glauben zu tun. Es ist ein sehr rationaler Gedanke. Glauben wäre, wenn man denken würde, es hätte mit einer übergeordneten Macht zu tun, die alle Fäden in der Hand hält. An so etwas glaube ich eigentlich nicht. Aber es gibt Kraftlinien, Informationsstränge, Strings. Ich bin mal aus dem Auto gestiegen und ein Fahrzeug ist haarscharf an mir vorbei gefahren, wäre ich eine Sekunde früher oder später aus dem Auto gestiegen, wäre ich wahrscheinlich tot. Ich war fast am falschen Ort oder genau am richtigen Ort. Man ist in einem Geflecht von Möglichkeiten und wir alle sind darin verstrickt. Wir können auf diese Möglichkeiten einwirken, aber wir sind natürlich von anderen Menschen, anderen Handlungen abhängig und von Naturgewalten, der Sonneneinstrahlung, von dem Alter des Universums und dergleichen. Das sind knallharte physikalische Fakten.

Das hat dann also relativ wenig mit dem eigenen Zutun zu schaffen?

Marian Gold: Doch, denn wenn es mich nicht gegeben hätte, dann hätte es Alphaville nicht gegeben. Das gleiche gilt für Bernd und Frank (Bernhard Lloyd und Frank Mertens, die anderen Gründungsmitglieder von Alphaville; Anm.d.Red.). Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte, die das schön illustriert. Bowie hielt sich Ende der 70er Jahre in Berlin auf, wo es diesen Club SO 36 gab, in dem er hin und wieder aufkreuzte. Ich als Riesen-Bowie-Fan bin da also immer wieder hin, in der Hoffnung, ihn da zu treffen,. Ich habe ihn aber nie getroffen. Aber es gab da einen, der mit einem hölzernen Bauchladen Platten von Independent-Bands verkauft hat. Bei ihm habe ich mir die Platte einer englischen Band gekauft, die hieß Big in Japan. Monate später entstand nach und nach unser zweiter Song. Es gab diese Bassline und den Text, aber es fehlte der Refrain. Da fiel mir diese Band Big in Japan ein, das passte in den Kontext unserer Junkie-Geschichte, die hinter dem Bahnhof Zoo bei den Strichern spielt. Und so nannten wir den Song „Big in Japan“. Drei Jahre später wurde daraus unsere erste Single, mit der wir relativ schnell, innerhalb von fünf Wochen, die Nummer 2 in Deutschland wurden. Es gab damals nur eine Band, die zu diesem Zeitpunkt mehr Platten verkaufte als wir, und das war Frankie goes to Hollywood. Und der Sänger dieser Band war der ehemalige Sänger der Band Big in Japan. Ich werde nächstes Jahr 70 und mein Weg ist gepflastert mit solchen merkwürdigen Ereignissen. Wir leben eben in diesem Koordinatensystem.

In den 80ern war auch die Neue Deutsche Welle angesagt. Wieso haben Sie nicht auf Deutsch gesungen?

Marian Gold: Die Band Ideal war für mich eine geniale Rockband, und jeder Manager riet einem damals auf Deutsch zu singen, weil das angesagt war. Aber das haben wir nicht gemacht, weil es uns nicht interessiert hat. Doch tatsächlich haben wir deutsche Songs geschrieben, aber für unsere erste Platte haben wir nur die englischen genommen, und ich glaube, wir haben die richtige Entscheidung getroffen.

Sogar Beyoncé und Jay-Z haben den Alphaville-Song „Forever Young“ gecovert, auch wenn sie „Young Forever“ daraus gemacht haben. Kann man von den Tantiemen, die solche Hits einbringen, leben?

Marian Gold: Ja natürlich, man ist ja als Urhebeber an jeder Veröffentlichung beteiligt.

Es gibt also keine finanziellen Gründe, jetzt wieder eine Tournee zu starten?

Marian Gold: Natürlich nicht, sonst wäre ich ja schon längst raus aus dem Geschäft. Nicht mal am Anfang von Alphaville war der Grund, warum wir das gemacht haben, der, dass wir Kohle brauchten. Wir waren einfach total spinnerte Fans von anderen Bands, und auf einmal eröffnete sich die unfassbare Möglichkeit, selber Musik zu machen, weil es Synthesizer, Rhythmus-Maschinen und Sequenzer gab, zu relativ vernünftigen Preisen. Und damit konnte man Musik machen, ohne ein richtiges Instrument zu lernen. Wenn man durch die Technik durchgestiegen war, konnte man innerhalb von einer Woche anfangen eigene Songs zu machen. Das war ein Wunder, eine fantastische Situation! Wir haben uns diese Geräte angeschafft, wie Spielzeuge, und haben angefangen unsere Geschichten und Melodien, die wir so im Kopf hatten, umzusetzen.

Haben Sie zu den beiden anderen Gründungsmitglieder, die ja längst nicht mehr bei Alphaville sind, noch Kontakt?

Marian Gold: Ich habe mit Bernd ein sehr enges freundschaftliches Verhältnis, wir denken auch gerade darüber nach, ob wir mal wieder musikalisch etwas miteinander machen. Was Frank angeht, muss ich zu meinem größten Bedauern sagen, dass ich nicht weiß wo er ist und was mit ihm los ist, ob er überhaupt noch lebt. Frank war der Syd Barrett von Alphaville. Ich werde nie vergessen, wie wir im November 1984 von einer Fernsehaufnahme in Belgien zurückkamen, und Frank auf dem Frankfurter Flughafen zu mir sagte, er trete aus der Band aus, er könne diesen ganzen Rummel nicht mehr ertragen, es sei ihm einfach zu viel. Ich war echt geschockt. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir jeden Musiker für Alphaville bekommen können, da hatten wir ja diesen extremen Peak, aber wir haben dann als Ersatz einfach einen von unseren Kumpeln genommen. Das war Rick (Ricky Echolette; Anm.d.Red.) und es war die beste Wahl, die wir treffen konnten.

Bei Ihrem aktuellen Album „Eternally Yours“ setzen Sie allerdings auf ganz großes Orchester, das Deutsche Filmorchester Babelsberg. Das ist ja nun das Gegenteil von zwei Synthesizern. Warum hat es jetzt das Pompöse, Große gebraucht?

Marian Gold: Naja, unsere Musik war immer schon ziemlich pompös (lacht). Die Synthesizer waren die Instrumente, die unsere künstlerische Identität begründet haben. So ein polyphoner Synthesizer ist ein Orchester in sich selbst. Man wird geradezu verführt, solche Stücke zu schreiben, die im Nachhinein ideale Voraussetzungen für eine orchestrale Umsetzung bieten. Der Gedanke, unsere Musik mit Orchester umzusetzen, schwirrte schon seit Ende der 80er Jahre in unseren Köpfen herum. Es ergab sich aber nie die Gelegenheit. Als die Pandemie und der Lockdown kam, hatten wir auf einmal wahnsinnig viel Zeit, da habe ich mich wieder damit beschäftigt. Ich bin aber sehr schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass ich nicht dazu in der Lage bin, das musikalisch umzusetzen. Die Unterstützung, die ich brauchte, habe ich in den genialen Arrangeuren Max Knoth und Christian Lohr gefunden. Und dann kam noch die Zusage vom Babelsberger Filmorchester, das war dann die goldene Gelegenheit.

Im Song „Forever Young“ steckt die Frage nach der Vergänglichkeit und wie sinnvoll ewiges Leben wäre. Ein Thema, das eigentlich eher in die zweite Lebenshälfte passt?

Marian Gold: Ich kann ja nichts dafür, dass die Bravo mich damals als 19-Jährigen verkauft hat (lacht), denn ich war damals schon 30, also nicht mehr ganz so jung wie alle gedacht haben. „Forever Young“ ist von dieser kinematographischen Endzeit­sehnsucht der 80er Jahre geprägt. Viele Künstler haben sich damals mit dem Thema Vergänglichkeit auseinander gesetzt und das auch romantisiert. Ich hatte den Text geschrieben und wusste erst nicht, wie der Song heißen sollte. Heute ist ‚forever young‘ fast schon ein geflügeltes Wort, aber damals war der Begriff völlig neu. Dass es diesen Songtitel von Bob Dylan und Rod Stewart gab, war mir zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst. Der Song von Alphaville besteht aus assoziativen Sätzen, und diese Universalität, die dieser Song hat, ermöglicht es, dass man ihn auf Begräbnissen, auf Hochzeiten oder auf Geburtstagen spielen kann. Ich glaube, das ist genau das, was diesen Song so besonders macht. Ansonsten ist die weltweite Popularität dieses Stücks ja kaum zu erklären.

Womit wir schon fast wieder beim Koordinatensystem wären…

Marian Gold: Genau (lacht), man kann sich nicht immer alles auf die eigene Fahne schreiben, man muss auch dem Universum Urheberrechte einräumen.

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